Digitalisierung für Gesundheit
Im Versorgungsalltag ist der Nutzen der Digitalisierung bislang kaum angekommen. Um keine Chancen zu verschenken, muss jetzt im Sinne der Leistungserbringer und zum Wohle der Patient:innen gemeinsam an der Weiterentwicklung von Anwendungen gearbeitet werden.
Digitalisierungspotentiale noch nicht ausgeschöpft
Das Mindset muss sich ändern, damit Digitalisierung in der Versorgung ankommt, fordert Prof. Dr. Greiner. Aktuell habe er den Eindruck, dass Mediziner:innen die Digitalisierung eher als eine Belastung empfinden und der Nutzen für Patient:innen nicht nachvollziehbar ist. Er wolle keinen Pessimismus verbreiten, aber es müsse noch vieles getan werden. So müsse bspw. die ePA für die Nutzenden auch faktisch nutzenstiftend sein. In jetziger Form werde sie „wahrscheinlich nicht zum Fliegen kommen“. Das dürfe man sich nicht lange anschauen, sondern andere Wege suchen und z.B. über das Opt-Out-Modell nachdenken. Bei der Entwicklung von digitalen Lösungen, wie etwa den DIGAs, sei Wettbewerb richtig. Zugleich müsse für die Interoperabilität der Systeme gesorgt werden. Für diesen Rahmen sei die Gematik zuständig.
Funktionierende Lösungen müssen Massenanwendung werden
Dass die Digitalisierung trotz enger Zeitvorgaben des Gesetzgebers in der ambulanten Versorgung noch nicht angekommen ist, sieht auch Thomas Müller. Der Mangel an geeigneten und ausgereiften Anwendungen sei die Ursache dafür. Grundsätzlich habe die Gesetzgebung nach Müllers Ansicht den Nerv von Ärzt:innen und Patient:innen getroffen. Jetzt müssten funktionierende Lösungen entwickelt werden, die als Massenanwendungen (eAU, eRezept) bei Leistungserbringern und Patient:innen nutzenstiftend ankommen. „Von alleine geht nichts“, konstatiert Müller. Die Rahmenbedingungen müssten stimmen, es brauche „Anschub und Pioniergeist“ sowie konstruktive Zusammenarbeit.
Neue Zusammenarbeitsmodelle für mehr Patientenwohl
„Wo ist der Nutzen für den Patienten?“ formuliert Dr. Irmgard Stippler die Leitfrage für Digitalisierungsprojekte und fordert komplett neue Zusammenarbeitsmodelle für die, die Digitalisierung bereitstellen. Es gelte, lernende Systeme zu installieren, die nach ihrem Start permanent reflektiert und gemeinsam weiterentwickelt werden. Indem man besser darin werde, Patient:innen individuell anzusprechen, gut abzuholen und gut zu begleiten, steige das Patien-tenwohl. Erst dadurch werde, so Stippler, Digitalisierung für Patient:innen positiv erlebbar. In die ePA seien unbedingt weitere Anwendungen zu integrieren, damit die ePA nicht nur für Patient:innen, sondern für alle Versicherten rund um ihre Gesundheit attraktiv wird. Laut Stippler ist es für die GKV unbestritten sinnvoll, Präventions- und Versicherungsleistungen digital anzubieten.
Anwendungen an Versorgungsalltag anpassen
Dr. Irmgard Landgraf ist überzeugt, dass sich in ihrem Praxisalltag als Ärztin noch vieles durch digitale Anwendungen erleichtern lasse. Allerdings gebe es viele technische Umsetzungsprobleme und gelieferte Tools seien nicht immer an den Versorgungsalltag angepasst. Mehr Kommunikation zwischen den Entwicklern und Anwender:innen könne hier helfen. Die Chancen der Digitalisierung würden in der Praxis vielfach verschenkt, sagt Landgraf. Die technischen Voraussetzungen müssten gewährleistet sein und manchmal könne mehr Standardisierung helfen.
Datenzugriff für Forschung ermöglichen
Wie groß der Mehrwert der Digitalisierung für die Versorgung der Menschen wird, hängt für Dr. Jutta Wendel-Schrief auch davon ab, inwieweit die erzeugten Daten genutzt werden könnten. Vorbehalte beim Teilen von Gesundheitsdaten könne sie nicht immer nachvollziehen. Schließlich gehe man in der klinischen Forschung, wo Patientendaten bereits genutzt werden, sehr sorgsam damit um. Die Forschung interessiere aber auch, was im Real-World-Setting passiere. Datenzugriff könne helfen bessere Therapieerfolge zu erzielen.
Datenschutz hinterfragen
Der Datenschutz habe individuelle und kollektive Nachteile für die Versorgungsoptimierung, meint auch Greiner. Er fordert einen ausbalancierteren Umgang mit dem Datenschutz. Dieser solle nicht nur als Abwehrrecht, sondern auch als Teil des Patientenschutzes verstanden werden. Werde da nachjustiert, wäre laut Greiner eine bessere Verzahnung von Forschung und Versorgung möglich. Diese wiederum sei am einfachsten, wenn die ePA eine weite Verbreitung in der Bevölkerung schaffe und als Datenschatz bspw. zur Erforschung von Long Covid genutzt werden könnte. Das sei ein großes schwarzes Loch, aber mit Möglichkeiten der Datennutzung könnten Assoziationen festgestellt und Forschungsansätze generiert werden.
Referenten
Prof. Dr. Wolfgang Greiner
Sachverständigenrat für Gesundheit | Referent
Dr. Imgard Landgraf
APS | Referentin
Thomas Müller
KV Westfalen-Lippe | Referent
Dr. Irmgard Stippler
AOK Bayern | Referentin
Dr. Jutta Wendel-Schrief
MSD | Referentin
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