Chantal Friebertshäuser, Geschäftsführerin von MSD in Deutschland, zu den Herausforderungen der Corona-Pandemie und deutschen Ratspräsidentschaft (Teil II)
Am 1. Juli hat die sechsmonatige deutsche EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Ohne Zweifel findet die Präsidentschaft unter außergewöhnlichen Bedingungen statt. Die kommenden Monate werden insbesondere von der Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen geprägt sein. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Geschäftsführerin Chantal Friebertshäuser zu den aktuellen Ereignissen befragt.
Deutschland hat am 1. Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Die Bundesregierung hat angekündigt während ihres Vorsitzes auch Arzneimittelthemen in den Fokus stellen zu wollen. Insbesondere die Produktion von Arzneimitteln soll wieder stärker nach Europa verlagert werden. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Die aktuelle Corona-Pandemie ist sicher ein Belastungstest für global vernetzte Lieferketten. Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war aber ja in Teilen von Politik und Öffentlichkeit die Forderung laut worden, die Herstellung bestimmter Produkte, darunter Arzneimittel, nach Europa zurück zu verlagern. Ich verstehe den politischen Reiz solcher Forderungen, gebe aber auch zu bedenken: Versorgungsengpässe sehen wir kaum bei innovativen Arzneimitteln, sondern vor allem dort, wo massiver Preisdruck zu einem Rückgang von Investitionen führt. Umgekehrt ist es so, dass manche Lieferengpässe Produkte betreffen, die fast vollständig oder sogar komplett in Europa produziert werden. In einem ersten Schritt sollte die Politik daher die tatsächlichen Ursachen von Liefer- und Versorgungsengpässen untersuchen – das geht nur gemeinsam mit den Produzenten. Übrigens müssen auch wir als pharmazeutische Unternehmen unseren Beitrag leisten, hier für mehr Transparenz über die Ursachen von Lieferengpässen zu sorgen.
Bei MSD ist es so, dass wir weltweit (auch) für Deutschland und hierzulande für die Welt produzieren. Global verflochtene Lieferketten lassen sich nicht über Nacht auflösen, der Aufbau neuer Produktionsanlagen oder der Ausbau bestehender Produktionen für Impfstoffe beispielsweise dauert aufgrund der Komplexität und der hohen Qualitätsanforderungen häufig bis zu 10 Jahre. Es ist zudem eine Fehlannahme zu glauben, dass manch biologisch hergestelltes Arzneimittel an einem einzigen Ort produziert wird. Es sind oft mehrere Produktionsstätten auf unterschiedlichen Kontinenten beteiligt, bevor ein Arzneimittel im Großhandel landet. Es ist also sehr komplex und damit kompliziert.
Gerade jetzt zeigt sich, die Lieferketten der forschenden Arzneimittelhersteller sind sicher. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Produkten gerade auch in Krisenzeiten nicht noch verbessert werden kann. Ich begrüße es, wenn in den kommenden Monaten an der Erhöhung der Resilienz von Lieferketten gearbeitet wird. Dabei ist es sinnvoll, wenn diese Arbeit auf europäischer Ebene geschieht. Gleichzeitig sollte es unbedingt unterlassen werden, durch eine weitere Eskalation des Wiederaufbaus nationaler Mauern die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu gefährden.
Was sind aus ihrer Sicht die wichtigsten Themen im Arzneimittelbereich, auf die sich die Bundesregierung sowohl während ihrer Ratspräsidentschaft als auch darüber hinaus auf nationaler Ebene konzentrieren sollte?
Da fällt mir vor allem der europäische Gesundheitsdatenraum ein, dessen Schaffung ja eine der Prioritäten im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft ist. Eine verbesserte Nutzung von Gesundheitsdaten wird die medizinische Forschung und Versorgung ganz sicher weit nach vorne bringen: Prävention und Früherkennung, Diagnosen und Therapien – entlang des gesamten Versorgungsweges bieten hier ganz neue Möglichkeiten, insbesondere auch bei seltenen und chronischen Erkrankungen.
Im Rahmen des in Deutschland diskutierten Patientendatenschutzgesetzes (PDSG) werden hier ja bereits wichtige Schritte unternommen, etwa durch die Möglichkeit freiwilliger Datenspenden für Forschungszwecke. Zahlreiche Potentiale bleiben aber leider noch völlig ungenutzt. So sind zum Beispiel ausgerechnet die Hauptakteure der forschenden Gesundheitswirtschaft, also auch die forschenden Pharmaunternehmen, von der Nutzung dieser – personalisierten und anonymisierten – Daten ausgeschlossen. Hier sollte dringend nachgebessert werden.
Auf europäischer Ebene hoffe ich, dass auf die Schaffung gemeinsamer europäischer Gesundheitsdaten-Standards hingewirkt werden kann, um die Interoperabilität über Staatengrenzen hinweg sicherstellen zu können.
Auch bei der Förderung von Forschung und Entwicklung von innovativen Antibiotika brauchen wir besser verzahnte Maßnahmen. Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen nehmen seit Jahren zu – mit verheerenden Folgen für die betroffenen Patientinnen und Patienten. Die Ausbreitung multiresistenter Krankheitserreger kann letztlich nur durch die Entwicklung neuer Antibiotika gesenkt werden. Die ökonomischen wie regulatorischen Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in diesem Bereich sind aber derzeit alles andere als zufriedenstellend, hier sollte Deutschland während seiner Präsidentschaft wichtige Impulse setzen.
Ähnliches gilt im Kampf gegen den Krebs: Die Aktivitäten der Bundesregierung und ihrer Partner im Rahmen der Nationalen Dekade gegen den Krebs sollten die Maßnahmen im Rahmen des Europe’s Beating Cancer Plan sinnvoll ergänzen. Beide Initiativen betonen zurecht die Relevanz von Präventionsmaßnahmen, zügigem Zugang zu innovativen Produkten, patientenzentrierter Behandlung und ausreichender Finanzierung im Kampf gegen den Krebs. Als führendes Onkologie- und Impfstoff-Unternehmen begrüßen wir es, wenn die Ratspräsidentschaft dazu genutzt werden kann, Kräfte über Ebenen hinweg zu bündeln. MSD will auch hier ein verlässlicher und aktiver Partner sein.
"Teil I des Interviews zu den Herausforderungen der Corona-Pandemie finden Sie hier.